Naturführungen für Teilnehmende mit und ohne Seheinschränkung

Empfehlungen

Allgemein

Diese Hinweise sollen keine Anleitung für Naturführungen allgemein sein, sondern beleuchten nur die Aspekte, die blinde und sehbehinderte Teilnehmende betreffen. Sie verstehen sich als Anregung und gelten nicht komplett für jede führung und jede Umgebung.

Die Führungen sind möglichst zusammen mit der Zielgruppe vorzubereiten. Es kann sinnvoll sein, dass zwei Personen gemeinsam führen - eine ohne und eine mit Seheinschränkung. Intensive Führungen für alle Sinne gehen nicht so schnell, z. B. wenn Tastobjekte von den Teilnehmenden nacheinander betastet werden sollen. Das geplante Programm sollte daher nicht zu umfangreich und die Gruppe nicht zu groß sein.

Nach der Begrüßung bietet es sich an, dass die Teilnehmenden sich kurz vorstellen, um allen ein Gefühl für die Gruppe zu geben.

Sehbehinderten und blinden Teilnehmenden hilft es, der Gruppe zu folgen, wenn die führende Person visuell und akustisch gut erkennbar ist, z. B. durch farblich auffällige Kleidung, ein entsprechendes Tuch, durch Sprechen oder ein anderes Tonsignal während des Gehens. Zudem können den Teilnehmenden Informationen über den Weg zur je nächsten Station der Führung zu geben.

Zu Beginn einer Führung sollte das Gelände im Ganzen beschrieben werden: Größe, Form, Pflanzenarten, Gebäude, Wegarten und Wegführung sowie Gliederung des Geländes. Dazu kann ergänzend ein tastbarer und ein Großdruckplan helfen.

Gutes Sehen

Dinge sollten so gut sichtbar sein wie möglich, dadurch dass die Teilnehmenden dicht herangehen können und Objekte in gutem Licht betrachtet werden, also z. B. nicht im Schatten oder in blendendem Gegenlicht.

Vergrößerte Abbildungen von Objekten oder Details helfen sehbehinderten Personen. Es kann Zeit zum Fotografieren gegeben werden. Die Fotos können dann auf dem Smartphone oder der Digitalkamera vergrößert oder mit verstärkten Kontrasten in Ruhe angeschaut werden.

Tasten

Das Tasten ist eine sehr wichtige Umwelterfahrung. Es sollte so viel wie möglich eingeplant werden. Beim haptischen Erkunden von Dingen in der Natur können Teilnehmende besonders auf Folgendes hingewiesen werden:

  • Ein Objekt, z. B. eine Pflanze, sollte möglichst zuerst in ihrer ganzen äußeren Form wahrgenommen werden. Dabei kann man ggf. drum herum gehen oder auf etwas steigen bzw. auch mit dem weißen Stock nach oben tasten.
  • Alle verfügbaren Teile einer Pflanze können betastet werden: Stamm, Stängel, Blätter, Blüten, Früchte ...
  • Mögliche Tastqualitäten, auf die hingewiesen werden kann, sind: Größe, Form, Oberfläche, Härte, Temperatur, Gewicht. Teilnehmende können etwa aufgefordert werden: Wie hört es sich an, wenn sie darauf klopfen? Drücken sie es zusammen. Streichen sie aufwärts und abwärts darüber. Reiben sie daran.
  • Die Tasterfahrungen sollten benannt und in der Gruppe besprochen werden. Es können Vergleiche angestellt werden (Die Blätter fühlen sich an wie Samt oder wie Leder ...)

Blinde Menschen sollten möglichst selbst nach etwas greifen. Es kann für sie unangenehm sein, wenn ihre Hand auf ein Objekt hingeführt wird. Ggf. sollten Besonderheiten beim Tasten vorher angekündigt werden, um Schreckreaktionen zu vermeiden. (Die Pflanze ist stachlig oder feucht oder fühlt sich schleimig an.)

Wenn Pflanzen nicht direkt für alle erreichbar sind, können einzelne Teile davon abgepflückt bzw. mitgebracht werden, um sie herumzureichen.

Wenn es sich anbietet, sollten zu den Objekten passende Materialproben für ein weiteres Erkunden mitgebracht werden: Produkte aus den betreffenden Holzarten, Marmelade, verwandte Pflanzen oder Pflanzenteile.

Mit allen Sinnen

Auch alle anderen Sinne können genutzt werden. Man kann darauf hinweisen, wie sich Düfte am meisten entfalten, z. B. durch Reiben oder Schütteln. Die Umgebung ist ebenfalls voller Gerüche. Im Frühling riecht die Natur anders als im Sommer oder Herbst. Blüten oder Früchte verströmen ihren Duft und auch Tiere sind zu riechen, Abgase oder Chemikalien manchmal nicht minder.

Auch Geräusche sind interessant: Wie hört es sich an, darauf zu klopfen oder darüber zu streichen?

Viele Pflanzen sind essbar oder zumindest nicht giftig. Eine Naturführung kann auch als kulinarischer Ausflug gestaltet werden. Man kann dazu ermutigen, alles zu probieren, was unbedenklich gegessen werden kann. Dabei könn Zusammenhänge zwischen Geschmack und den enthaltenen Substanzen benannt werden (Was macht diese Blätter bitter?) aber auch auf die Textur (holzig, saftig …).

Außer dem bewussten Betasten von Objekten, machen Menschen ständig haptische Erfahrungen. Wir laufen über einen bestimmten Untergrund, der viele Informationen preisgibt: Stehen wir auf Asphalt, Steinen, totem Laub oder lebenden Pflanzen? Gibt es ein Gefälle? Strahlt der Boden gespeicherte Sonnenwärme ab oder spüren wir die Kühle nahen Wassers? Ist der Wind zu spüren oder wird er durch Bäume, Gebäude oder Hügel gebremst?

All diese Wahrnehmungen können nicht nur benannt und damit bewusst gemacht werden. Auch die Phänomene, die sie hervorrufen sollten erklärt werden. Das hilft, solche Dinge später wiederzuerkennen und künftig bewusster durch die Natur zu gehen.

Beschreibungen

Im Zentrum einer Führung stehen oft die verbalen Erläuterungen und Beschreibungen. Dabei sind u. a. folgende Punkte von Interesse:

  • erst einen Gesamtüberblick geben und dann zunehmend ins Detail gehen
  • Vergleiche mit Bekanntem helfen, Dinge besser zu lernen und einzuordnen: Die Rinde dieser Buche ist viel glatter als die der Eiche von eben. Das Blatt läuft spitz zu und ist gezackt - fast wie ein Tannenbaum. Der Stängel hat einen dreieckigen, viereckigen oder sternförmigen Querschnitt. Die Blätter fühlen sich dünn und trocken an, nicht saftig wie bei der letzten Pflanze. Das Blatt ist so groß wie eine Handfläche. Die Blüte ist wie ein Kelch. etc.
  • Richtungen und Längen möglichst exakt angeben. Aus dem Zentrum einer Pflanze können Richtungen wie Uhrzeiten benannt werden. Auf 2 Uhr zweigt ein 15 cm dicker Ast nach schräg oben ab. Er ist 3 m lang.
  • Beschreibungen können gemeinsam entwickelt werden. Sehende Teilnehmende aber auch solche mit Seheinschränkung können gemeinsam nach der besten Beschreibung suchen.

Gute Akustik ist wichtig. Denn Personen mit Seheinschränkung müssen in aller Regel auf Informationen aus Mundbild oder Gesten verzichten. Wichtig sind also lautes und deutliches Sprechen sowie eine Umgebung mit möglichst wenig Hall und Nebengeräuschen.

Akustische Proben können zudem die Vermittlung für alle Sinne erweitern, z. B. Tiergeräusche, Musik, Gedichte.

Aktuelles einbeziehen

Bei Führungen kommt man evtl. an interessanten Dingen vorbei, die nnnicht zu den Hauptthemen der Führung gehören. Diese können trotzdem benannt und erkundet werden, vor allem wenn sich besondere Sinneserfahrungen anbieten, die nah am Weg und gut zu erreichen sindd: Pflanzen, Steine, eine Geländestruktur.

Geräusche, die während einer Führung zu hören sind, sollten möglichst auch thematisiert werden, selbst wenn gerade über etwas anderes gesprochen wird: Vogelstimmen oder andere Tierstimmen, Bewegungen oder auch technische Geräusche. Diese zu erklären, vervollständigt das Bild der Umgebung.

Souvenirs aus der Natur:

Was können die Teilnehmenden von der Führung mitnehmen? Eine Kastanie, Nuss oder Eichel, Samen einer Pflanze, ein Säckchen mit Kamillenblüten oder Minzblättern, der Gipsabdruck von Pflanzen, ein Kräutersalz mit Bärlauch ...

Solche Dinge machen die Naturerfahrung noch intensiver und können lange daran erinnern.

Inklusion

Führungen mit der Möglichkeit des Tastens, Riechens, Schmeckens und Hörens, mit ausführlichen Beschreibungen und einer dialogischen Gestaltung, die sich in einer kleinen Gruppe mit  wenigen Objekten sehr intensiv befassen, können nicht nur exklusiv für Menschen mit Seheinschränkung, sondern auch als inklusive Tastführungen für alle  Besucher angeboten werden und das Führungsprogramm bereichern.