Barrierefreiheit von Webseiten und Accessibility Overlays

Stellungnahme des Fachausschusses für Informations- und Telekommunikationssysteme (FIT) beim DBSV

Stand: 19.04.2024

Der Fachausschuss für Informations- und Telekommunikationssysteme (FIT) beim DBSV vertritt in Bezug auf den Einsatz sogenannter Accessibility Overlays auf Webseiten folgende Position:

Oberste Priorität bei der Herstellung von Barrierefreiheit im Internet hat die barrierefreie Gestaltung der einzelnen Webseiten selbst. Dabei sind die entsprechenden technischen Standards (EN 301549 bzw. WCAG 2.2) umzusetzen. Accessibility Overlays sind nach dem heutigen Stand der Technik nicht in der Lage, eine Webseite von außen und quasi auf Knopfdruck gemäß der geltenden Standards barrierefrei zu gestalten. Sie versagen insbesondere im Bereich der Zugänglichkeit für blinde Menschen.

Accessibility Overlays können aufgrund ihrer Funktionsvielfalt, ergänzend zur zuvor unabhängig hergestellten Barrierefreiheit für bestimmte Zielgruppen jedoch einen Mehrwert haben.

Werden Accessibility Overlays auf normkonformen Webseiten eingesetzt, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:

  • Das zugrundeliegende Webangebot selbst muss alle Barrierefreiheits-Anforderungen der einschlägigen Standards EN 301549 bzw. WCAG 2.2 erfüllen. Für Webseiten öffentlicher Stellen ist die Umsetzung der BITV Bund bzw. der jeweiligen Landesverordnung verpflichtend. Accessibility Overlays bleiben bei der Barrierefreiheitsprüfung unberücksichtigt. Sie werden als Ergänzung eingesetzt.
  • Das Overlay selbst sowie sämtliche mittels des Overlays generierbare Darstellungen eines Webangebots müssen nach den einschlägigen Standards barrierefrei sein.
  • Accessibility Overlays dürfen die Funktionalität eingesetzter Assistenz-Technologien wie Screenreader und Bildschirmvergrößerungsprogramme nachweislich nicht nachteilig beeinflussen.
  • Das Vorhandensein bzw. der Aktivitäts-Status eines Accessibility Overlays ist eindeutig und gut wahrnehmbar zu kennzeichnen. Accessibility Overlays müssen sich nach den Regeln barrierefreier Bedienbarkeit in einem einzigen Bedienschritt zu- und abschalten lassen.
  • Bei der Einbindung von Accessibility Overlays sind alle datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu beachten.
  • Alle Produktinformationen von Overlay-Anbietern müssen nach den einschlägigen Standards barrierefrei gestaltet sein.

Im Folgenden erläutern und begründen wir diese Position.

Was sind Accessibility Overlays?

Accessibility Overlays sind Software-Werkzeuge, die den Quellcode von Webseiten verändern. Technisch werden diese Anpassungen durch spezielle CSS-, JavaScript- und HTML-Dateien erreicht. Diese laufen im Browser der Anwender*innen ab und überlagern die Originaldarstellung des Webangebots – daher der Begriff Overlay (Überdeckung). Welche Aspekte der Webseiten vom Accessibility Overlay verändert werden sollen, können Nutzerinnen und Nutzer selbst beeinflussen. Dazu wird in das Webangebot ein Link oder Button integriert. Dieser blendet die eigentliche Bedienoberfläche des Accessibility Overlays ein. Mit deren Hilfe lassen sich beispielsweise besondere Farbschemata, Schriften oder Kontrasteinstellungen wählen bzw. eine Vorlesefunktion aktivieren.

Barrierefreiheit mit Accessibility Overlays nicht herstellbar

Anbieter von Accessibility Overlays werben oft damit, dass ein Webangebot durch den Einsatz ihres Produkts „barrierefrei“ ist, „zugänglich“ wird oder „die gesetzlichen Anforderungen nach BITV erfüllt“. Nicht nur öffentliche Stellen aus Bund, Ländern und Kommunen, die gesetzlich zur Barrierefreiheit ihrer Webseiten verpflichtet sind, sondern auch um Inklusion und Teilhabe bemühte Vereine und Firmen ziehen aus den Werbeversprechen falsche Schlüsse. Sie meinen – in guter Absicht –, mit einem Accessibility Overlay eine kostengünstige und zeitsparende Alternative zur barrierefreien Entwicklung und Pflege einer Webseite zu erwerben.

Festzustellen ist jedoch, dass Accessibility Overlays nach dem Stand der Technik nicht in der Lage sind, eine Webseite von außen und quasi auf Knopfdruck umfassend barrierefrei zu gestalten. Sie versagen insbesondere im Bereich der Zugänglichkeit für blinde Menschen. Dies hat mehrere Gründe, von denen wir hier die wichtigsten anführen:

  1. Zugänglichkeitsbarrieren können nicht sicher behoben werden: Ein Webangebot gilt als Barrierefrei, wenn es die in der EU-Norm EN 301549 aufgeführten Anforderung der Konformitätsstufe AA erfüllt. Auch unter Anwendung künstlicher Intelligenz sind Accessibility Overlays nicht in der Lage, diese Konformitätsstufe zu erreichen. Hierzu müssten sie neben vielen anderen auch die folgenden Zugänglichkeitsbarrieren vollständig und korrekt analysieren und anschließend die richtigen Reparatur- und Veränderungsmaßnahmen ableiten, was für automatisierte Tools schlechterdings unmöglich ist:
    • Erkennung unangemessener Beschriftungen von Grafiken, Links und Formularfeldern und anschließende Bereitstellung einer sinnvollen Beschreibung
    • Erkennung, wann ein interaktives Webseitenelement nicht per Tastatur erreichbar ist und anschließende Modifikation der Tastatursteuerung
    • Identifizierung von Tastaturfallen und deren Beseitigung
    • Zu einer Webseite gehören auch alle darauf angebotenen Dokumente und Multimedia-Dateien. Accessibility Overlays sind nicht imstande, alle Zugangsbarrieren in solchen Dokumenten zu erkennen und zu beseitigen oder in Multimedia-Dateien entsprechende Untertitel und Audiodeskription einzufügen.
  2. Eine konforme Alternativversion einer Webseite wird nicht erzeugt: Um möglichst vielen Benutzergruppen eine individuell angepasste Anzeige des Webangebots zu liefern, verfügt ein Accessibility Overlay über eine Vielzahl von Einstellmöglichkeiten. Deren vielfältige Einsetzbarkeit und Kombinierbarkeit führt zu jeweils sehr unterschiedlichen Darstellungsformen der Originalwebseite. Welche dieser zahlreichen Darstellungen „die Alternativversion“ sein soll, kann nicht festgelegt werden. Selbst wenn ein Accessibility Overlay eine Alternativversion bereitstellen würde, könnte es aus den unter (1.) genannten Gründen nicht garantieren, dass diese Normkonform ist.

Neue Barrieren durch Accessibility Overlays

Beim Einsatz von schlecht programmierten oder unsachgemäß eingesetzten Accessibility Overlays können neue Barrieren entstehen, die es ohne das Overlay nicht gegeben hätte:

  • Um Einstellungen vorzunehmen, müssen Nutzer*innen die Bedienoberfläche des Accessibility Overlays aufrufen. Aus der Perspektive der visuellen Wahrnehmung und Bedienung per Bildschirm und Maus wird die Oberfläche des Accessibility Overlays modal präsentiert. Das bedeutet: Die eigentliche Webseite wird überlagert und ihre Elemente sind aktuell nicht bedienbar. Beim Einsatz einer Tastatur und der Wahrnehmung mittels Screenreader vermischen sich jedoch Bedienoberfläche des Overlays und die Elemente der Webseite. Dies führt dazu, dass das Accessibility Overlay von blinden Menschen schwierig wahrzunehmen und zu bedienen ist.
  • Screenreader und Bildschirmvergrößerungsprogramme stellen eine für Bildschirmvergrößerung, Sprachausgaben- und Blindenschriftnutzung modifizierte Darstellung einer Webseite zur Verfügung. Sie verwenden zahlreiche Tastaturkommandos, damit sehbehinderte und blinde Menschen in dieser Spezialdarstellung effektiv navigieren können.
    Auch Accessibility Overlays verwenden spezielle Tastaturkommandos. Die meisten Hersteller von Accessibility Overlays stimmen ihre Tastaturkommandos nicht auf die Befehle gängiger Assistenztechnologien ab. Dies hat zur Folge, dass die Accessibility Overlays für das zuverlässige Arbeiten mit einem Screenreader oder Bildschirmvergrößerungsprogramm wichtige Tastenkombinationen abfangen und der Screenreader bzw. das Vergrößerungsprogramm für die Nutzung der Webseite untauglich wird.
  • Etliche Accessibility Tools ermöglichen die Auswahl von Farbkombinationen, die dazu führen, dass Tastatur- und Mausfokus nicht mehr oder nicht mehr durchgängig sichtbar sind.

Für Zugänglichkeit der falsche Ansatz

Accessibility Tools versuchen, Barrierefreiheitsmängel auf Webseiten von außen und im Nachgang auszubessern. Sie setzen damit bei den Symptomen, nicht aber bei den Ursachen von Barrieren an.

Die verschiedenen Accessibility Overlays sind ganz unterschiedlich gestaltet. Ihr Einsatz erfordert von den Nutzenden, dass sie sich auf jeder Webseite neu in die Bedienphilosophie des dort eingesetzten Overlays einarbeiten und entsprechende Einstellungen vornehmen. Auch müssen die bevorzugten Einstellungen für jede Webseite mit Accessibility Overlays gespeichert werden. Das wirft datenschutzrechtliche Fragestellungen auf. Eine nachhaltigere Strategie, visuelle Eigenschaften einer Webseite an die eigenen Bedarfe anzupassen, bieten die Einstellungsmöglichkeiten im Betriebssystem und im Browser. Zudem verfügen auch gängige Browser zunehmend über Assistenzfunktionen, wie etwa das absatzweise oder kontinuierliche Vorlesen von Webseiten. Diese Funktionen richten sich an Anwenderinnen und Anwender ohne durchgängigen Bedarf an Assistenztechnologien.

Accessibility Overlays als Ergänzung

Ist ein Webangebot normkonform und damit barrierefrei gestaltet, dann können gut programmierte Accessibility Overlays die Nutzbarkeit für einen spezifischen Personenkreis verbessern. Profitieren könnten unter anderem:

  • Menschen mit Farbwahrnehmungsstörungen von gezielt auf sie zugeschnittenen Farbeinstellungsprofilen,
  • Menschen mit fortschreitender Sehbeeinträchtigung von strukturierten Vorlesefunktionen der Sprachausgabe eines Accessibility Tools,
  • Menschen mit Lese-Rechtschreibschwäche von der Möglichkeit, leicht verwechselbare Buchstaben hervorzuheben,
  • Menschen, die auf einfache Sprache angewiesen sind, von Nachschlagefunktionen für schwierige Begriffe,
  • Menschen mit Beeinträchtigung der Konzentration und Aufmerksamkeit von spezifischen Funktionen zur „visuellen Entrümpelung“ der Webseite.

 

Kontakt

Oliver Nadig (Leiter)
Ali Gürler (stellvertr. Leiter)
Jana Mattert (Ansprechpartnerin in der DBSV-Geschäftsstelle)

E-Mail: fachausschuss-IT@dbsv.org