Zahlen und Fakten zur Elektromobilität

Warum akustische Warnsysteme für Elektrofahrzeuge?

Elektrische Fahrzeuge sind bei niedrigen Geschwindigkeiten nahezu lautlos. Eine Studie der US-amerikanischen Verkehrssicherheitsbehörde (United States National Highway Traffic Safety Administration –NTHSA) zeigt, dass Elektrofahrzeuge 37 Prozent bzw. 57 Prozent öfter in Unfälle mit Fußgängern bzw. Radfahrern verwickelt sind als konventionell betriebene Pendants. Dadurch gefährden sie alle Verkehrsteilnehmer, die auf akustische Signale angewiesen sind. Diese Gruppe beinhaltet Kinder, Fahrradfahrer, ältere und unaufmerksame Verkehrsteilnehmer - und insbesondere blinde und sehbehinderte Fußgänger, für deren sichere räumliche Orientierung im Straßenverkehr Geräusche unabdingbar sind.

Studien der Universität von Kalifornien in Riverside stellen fest, dass ein elektrisch betriebenes Fahrzeug 74% näher sein muss als sein konventionell betriebenes Pendant, um von Fußgängern angemessen wahrgenommen zu werden. Unter Umständen kann zwischen Wahrnehmung und Aufprall nur eine Sekunde liegen.

Akustische Warnsysteme, sogenannte AVAS („Acoustic Vehicle Alerting System“), sorgen hier für Sicherheit. Internationale und nationale Normen fordern deshalb für Elektrofahrzeuge ein AVAS und stellen konkrete technische Bedingungen.

Förderprogramme

Für den Ausbau der Elektrobusflotten hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die "Förderrichtlinie Elektromobilität" zur Beschaffung von Elektrofahrzeugen und der dafür erforderlichen Ladeinfrastruktur und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) die "Förderrichtlinie Anschaffung Elektrobusse im ÖPNV" aufgestellt. Diese Förderprogramme ermöglichen eine Differenzfinanzierung der Fahrzeuge von bis zu 80 Prozent. Die Kosten für ein AVAS werden bei der Förderung der genannten Programme berücksichtigt.

Nationaler Rechtsrahmen

Bereits vor den oben genannten Terminen nach Verordnung (EU) Nr. 540/2014 sind in Deutschland Gesetze zu beachten, die der Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung und der Verpflichtung zur Umsetzung von Barrierefreiheit dienen.

Das Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung (BGG) definiert in § 4, dass ein Fahrzeug oder Verkehrsmittel unter Berücksichtigung folgender Aspekte barrierefrei ist: Es muss für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sein. Um die im BGG geforderte Teilhabe und Gleichberechtigung für blinde und sehbehinderte Menschen zu erreichen, müssen sichere Orientierung und Mobilität im Verkehrsraum ermöglicht werden. Eine Voraussetzung ist, dass Gefahren im Verkehrsraum und die zu nutzenden Fahrzeuge eindeutig akustisch wahrnehmbar und somit auffindbar sind.

In allen Bundesländern gibt es in diesem Punkt ähnlich lautende Landesgleichstellungsgesetze. Die öffentliche Hand verpflichtet sich auf Bundes- und auf Landesebene zur Herstellung von Barrierefreiheit.

Nach § 8 Abs. 3 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) sind die Aufgabenträger in der Personenbeförderung dazu verpflichtet, bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit im ÖPNV zu erreichen. Neu zu beschaffende Fahrzeuge, die im Geltungsbereich des Personenbeförderungsgesetzes operieren, sollten aufgrund der langen Betriebsdauer ab sofort mit einem AVAS ausgestattet werden.

Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) legt in § 121 Abs.2 fest, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge durch öffentliche Auftraggeber bei der Beschaffung von Leistungen, die zur Nutzung durch natürliche Personen vorgesehen sind, in der Leistungsbeschreibung die Zugänglichkeitskriterien (Barrierefreiheitskriterien) für Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen sind.

Offen bleibt, ob das Nichtvorhandensein eines AVAS bei einem Elektrofahrzeug zukünftig im Schadensfall zu einem erheblichen finanziellen Nachteil für den Fahrzeughalter führen kann. Der Aspekt der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer im Zusammenhang mit leisen Fahrzeugen wird mit großer Wahrscheinlichkeit im Rahmen der Unfallstatistik neu bewertet werden müssen.

Internationaler Rechtsrahmen

Auf europäischer Ebene gilt die Verordnung (EU) Nr. 540/2014 über den Geräuschpegel von Kraftfahrzeugen und von Austauschschalldämpferanlagen unmittelbar verpflichtend. Sie gilt für Fahrzeuge der Klassen M1, M2, M3, N1, N2 und N3, also für Personen- und Nutzfahrzeuge mit vier oder mehr Rädern. Die Verordnung in Artikel 8 legt fest, dass Hersteller bis spätestens 1. Juli 2019 in neue Typen von Hybridelektro- und reinen Elektrofahrzeugen und bis spätestens 1. Juli 2021 in alle neuen Hybridelektro- und reinen Elektrofahrzeugen ein AVAS einbauen müssen.

Auf internationaler Ebene existiert der Standard R138, ergänzt durch R138.01, zu einheitlichen Vorschriften für die Zulassung geräuscharmer Fahrzeuge der wirtschaftlichen Kommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE). Nach der Delegierten Verordnung (EU) 2017/1576 ist diese in weiten Bereichen anzuwenden. Der Standard R138 weist konkretere technische Details  auf, auf welche sich die EU-Verordnung 540/2014 bezieht.

Technische Bedingungen

Das AVAS muss mindestens im Geschwindigkeitsbereich zwischen dem Anfahren und einer Geschwindigkeit von etwa 20 km/h sowie beim Rückwärtsfahren automatisch ein Schallzeichen erzeugen (EU-Verordnung, Anhang VIII, Punkt 2.a). Bei höheren Geschwindigkeiten sind die Fahrbewegungen aufgrund des Roll- und Luftwiderstandes akustisch erkennbar. Standgeräusche können zusätzlich angeboten werden (UN-Standard, Artikel 6.2.4). Das Signal soll vergleichbar sein mit dem Geräusch eines mit Verbrennungsmotor ausgestatteten Fahrzeugs der gleichen Klasse (EU-Verordnung, Anhang VII, Punkt 3.1). Abstrakte künstliche Geräusche oder Naturgeräusche wie Vogelzwitschern sind daher nicht erlaubt.

Als Minimallautstärke sind 56 dB(A) bei einer Geschwindigkeit von 20 km/h vorgeschrieben (UN-Standard, Tabelle 2), als Maximallautstärke wird 75 dB(A) als Richtwert gesetzt (EU-Verordnung, Anhang VIII, Punkt 3.c; UN-Standard, Artikel 6.2.7.). Geschwindigkeitsveränderungen des Fahrzeuges sollen im AVAS entsprechend moduliert werden, beispielsweise durch Frequenzänderungen (UN-Standard, Artikel 6.2.3.) oder Pegeländerungen (EU-Verordnung, Artikel VII, Punkt 3.c). Der UN-Standard legt zudem detailliert fest, mit welchen Messverfahren die Erfüllung dieser Bedingungen gemessen werden muss.